Montag, 12. April 2010

die besprochene Sammlung



Birgit Kempker, Samstag 6.März, Fideris/Strahlegg, die besprochene Sammlung


Die Sammlung von Peter Meisser
die er mir zeigt, sind Waffen. Peter lebt im Holzhaus seiner Eltern und das ist von Kopf bis Fuss auf Waffen eingestellt, denn das ist seine Welt, in Strahlegg, und mit Waffen ausgekleidet sind die Wände, als zweite Holzhaut des Hauses, von innen ausgelegt, eingekleidet, imprägnierte und prägende Umschichtung, in Richtungen ausgelegte hohle Rohre mit Eisen, auf dem Boden Kanonen, zwei, und Schiessbewilligung im Wald mit Freunden und ordentlich Proviant. Wer mit sovielen Waffen in den Zimmern und Munition im Schrank gut leben kann, muss definitiv friedlich sein, deshalb würde Peter prüfen, wem er eine Waffe gibt, ob die Person gerade in Krise ist, Konflikte austrägt, bei Männer besonders Kummer in der Liebe. Ich würde das folgende gerne für Peter singen, als Jenny, die Seeräuberin aus der Dreigroschenoper, wie Sina, Peters Lieblingssängerin, denn in diesem Haus hat mich etwas berührt, was ich nicht so leicht raus aufs Papier klügeln kann. Es hat etwas mit Unschuld und Schuld zu tun, mit Eigensinn und Prägung, was passiert, wenn ein Kind etwas aus der Welt geraten ist und doch mitten rein via Kriegsgeräten, trash, pop, pinups und einsamen Wölfen, wenn das weibliche leicht unterbesetzt und das männliche altväterlich.

„Die Lebendigen haben einen Körper, der ihnen erlaubt, aus dem Wissen herauszutreten und dorthin zurückzukehren. Sie bestehen aus einem Haus und einer Biene.“ Das lässt Paul Valéry Sokrates zu Phaidros sagen. Bei den Toten natürlich sei alles in einem Stück und einer Zeit. Dieses Holzhaus in Strahlegg verkörpert als räumliches Palimpsest die Welt der Kindheit, wie die Welt sich in der Kindheit, einer schweizerischen Kindheit, darstellte und aus dieser Darstellung heraus zu neuen Welten aufbrach, voller Neugierde aufbricht und sich dabei und seine Schätze schützt. Es hat mit der Stube angefangen im Haus, mit dem Vater, der als Architekt an seinem Zeichenbrett Pläne entwarf, für eigenwillige Kunden. Die alte Rechenmaschine, die Schreibmaschine, das Reissbrett. Oder schon vorher mit der Mutter, der Strahlegg und besonders die Berge, so sehr gefielen, dass sie Peters Vater, der viel älter war und der Strahlegg und das Haus seiner Eltern gar nicht mochte, einlud, zu ihm zu ziehen, und so wurden sie Peters Eltern. Habe ich Peter eigentlich gefragt, ob er sich das so vorstelle, zwischen Männern und Frauen? Der Vater war langsam, geduldig und selbst ein Ort, an dem es sich, ich stell mir das zeitlos vor, verkriechen liess und träumen, denken, zeichnen, fragen, unter dem Tisch sitzen und dabei sein. Die Mutter sei leicht aufbrausend gewesen. Es habe Gewitter im Haus gegeben, was sich schnell verzogen hätte. Dann kam das TV ins Haus und ferne Welten wie: Arpad, der Zigeuner. Die Schatzinsel. Peter dachte sich Spiele aus für die Kinder aus Strahlegg. Er teilte sie in jeweils zwei Gruppen ein, Ungarn, Partisanen, Österreicher, Zigeuner, Yankees, Indianer, und liess sie gegeneinander ziehen. Er selbst gab sich Nebenrollen und konnte das Spiel so besser lenken. Oder er war die Figur, die es gut mit dem Helden meinte, so eine Art Schattenkrieger. Auf den Einwand einer Frau im Dorf, es gäbe noch Krieg, wenn sie weiter Krieg spielen, habe der Vater gesagt: sie solle in den Nachrichten schauen, es sei Krieg, überall. Eine kluge Antwort. Souveräne Eltern, die sich nicht um das scheren, was die Leute denken. Vielleicht können sie auch nicht anders als anders zu sein. Waren sie anders?

Die Spiele wurden immer detailreicher und auch kenntnisreicher ausstaffiert, Peter las und liest bis heute Bücher über Schlachten, über Kriegsführung, wichtig:
Proviant, was hat welcher Feldherr in welcher Situation zu wem gesagt. Im Militär sei er enttäuscht gewesen, wie wenig dort selbst die Generäle wüssten, denen ginge es nur um hiesige Macht und Geschäfte, das Militär sei Vorwand, keine echte Leidenschaft für den Gegenstand, keine Kenntnis. Als ein Rekrutenausbilder nicht mal wusste, was Wellington in einer bestimmten Situation auf dem Schlachtfeld gesagt hat, war es ganz aus mit dem Respekt, ausserdem ging es in der Rekrutenzeit nicht nach seiner Regie, und es war auch nicht so, dass junge Männer in die Schlacht ziehen und als Helden zurück kommen. Das war schon eine Ernüchterung. Vielleicht hätte sich sein Verhältnis zu Waffen auch anders entwickelt in einem Land, wo wirklich mit den Waffen gekämpft wird, Krieg ist und nahe Menschen sterben.

Als Peter mit der Lehre als Säger anfing, kaufte er sich seine erste Winchester, vom Vater unterstützt. Die Mutter sei immer auch dafür gewesen. John Wayne hatte eine solche. ( Winchester) Ich bin erstaunt, dass die meisten Waffen im Haus nicht aus Kriegen stammen, sondern Repliken sind. Teilweise wertvolle Repliken. Daher die Alarmanlage. Das Haus ist gesichert. Das Sammeln von Waffen hat weniger mit einem magischen Verhältnis zu Objekten zu tun, oder mit ihrer Aura und ihrer realen Geschichte, dem Blut, den Toten, den Soldaten und Kriegsfeuern, als mit einer Aufzählung, einer Aufzählung der Erzählungen, einer Aneinanderreihung der Wege auch, der Mündungen, Kreuzungen. Neben den Cowboywaffen liebt Peter die russischen Gewehre. Ich könnte jetzt viel Waffentechnisches auflisten, Peter erklärt mir liebenswürdig und geduldig die Grundlagen, denn ich weiss ja gar nichts. Und wie kam es zu seiner Vorliebe für russische Militärkleidung? Die Leute haben ihn immer so angestarrt, egal was er trug, da habe er sich entschieden, das Anstarren zu steuern, eine sehr gute Freundin habe ihm dazu geraten, er hat sich Kostümierungen ausgewählt, Matrosenhemd, Russenkittel, Zigeunerkopftuch, Judenkäppchen, eine Art crossover dress. Verwirrend. Gleichzeitig schön, es steht ihm mit den wilden Haaren und dem Bart. Das weiss er auch. Wenn schon Sonderling, dann extra. Fotos an den Wänden von Partisanen, Rebellen, Emiliano Zapata, Pancho Villa, mexikanische Widerstandskämpfer, sehr schönen Frauen mit Waffen, russische Soldatin, Frau mit langen Haaren und Motorrad.

Draussen ist Schnee, wir sehen vom Tisch aus ins Tal durchs beschlagene Fenster, das Holz im Ofen rumort, dieses Haus ist etwas Lebendiges, wie flüssig, wie aus einer Ritterburg schauen, mit einem Ritter reden über seine Abenteuer. Höflichkeit. Einsamkeit. Kokon. Wissen. Sehr viel Wissen. Witz. Das Haus und wie er es bestückt mit immer mehr Schiessholz und Kanonen, mit Büchern und Abbildungen, ist es offen für Gäste wie für mich z.B., die ja gar nichts mitbringt aus der Welt des Interessanten, ausser Interesse, vielleicht kurz Spiegelfunktion. Eine freundliche Fremdheit Menschen gegenüber. Aber er ist ja ein Mensch. Was ist die Biene? Was ist das Haus und welche Rolle spielt das Wissen und das Rollen spielen, um Wissen aufzuführen? Welche Musik er höre? Nur von Frauen, Rock, Pop Heavy Metal, und eben: Sina.